Stimme voll zu  Stimme eher zu  Weder noch Stimme nicht zu Stimme gar nicht zu 
                                    traditionell                                                              egalitär 
1991               8 20 16 33 22
1994 10 19 13 36 22
2002 7 14 14 38 28
2008 8 15 19 24 33
2012 7 10 11 35 37
2018 4 7 17 24 48

Entwicklung der Zustimmung zur Aussage „Die Aufgabe des Ehemannes ist es, Geld zu verdienen, die der Ehefrau, sich um Haushalt und Familie zu kümmern“ 1991 – 2018 (Quelle: in Anlehnung an Sabine Diabaté für bpb.de¹)

Progressive Parenting vs. traditionelle Rollenverteilung

Wie die Rollen in unserer Familie verteilt sind und waren, hat maßgeblichen Einfluss auf die Gleichberechtigung² aller Geschlechter. Familie ist eine primäre Instanz unserer Sozialisation³. Hier beobachten wir schon früh die “Rollenpraxis” der einzelnen Familienmitglieder im Alltag. Eine Kernfrage ist, welchen Einfluss das Geschlecht bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Familie nimmt.

Progressive Parenting meint neue Eltern- und Familienmodelle

Wenn in diesem Text von Progressive Parenting gesprochen wird, sind neue Eltern- und Familienmodelle für weniger Gender Bias⁴ und mehr Geschlechtergerechtigkeit gemeint. Bisher verfügbare, statistische Datensätze, sind meistens für heterogeschlechtliche Partnerschaften und Ehen erhoben worden. Wir greifen auch in diesem Text auf diese Daten zurück. Wir verstehen Familie als jegliche Eltern-Kind-Gemeinschaft, bei der mindestens zwei Personen unterschiedlicher Generationen zusammen in einem Haushalt leben⁵.

Was ist Progressive Parenting?

Progressive Parenting gehört zum Megatrend Gender Shift⁶ . Mit diesem Trend werden Geschlechterrollen zunehmend bedeutungsloser.
Progressive Parenting umfasst:

  • gleichberechtigte Aufteilung von Haus- und Familienarbeit,
  • gleichberechtigte Erwerbsbeteiligung,
  • partnerschaftliche Absprachen zum persönlichen Ressourceneinsatz (Hallo, work life blending⁷ ).

Was ist die traditionelle Rollenverteilung?

Die ursprünglich definierte „Normfamilie“ Mutter-Vater-Kind war lange Zeit der absolute Bremsklotz im Bestreben der Gleichberechtigung. Sie begünstigte neben der Fortschreibung von Gender Bias die Entstehung vieler ungemütlicher Gaps wie Gender Care Gap, Gender Pay Gap⁸ oder Gender Pension Gap.

Die traditionelle Rollenteilung umfasst:

  • das Fortschreiben von Ur-Rollen wie väterlicherseits den “Familienvorstand”, den “Alleinverdiener”, den “Ressourcenverwalter” und mütterlicherseits die “Treue und Fürsorgliche”, “Aufopferungsvolle”, “Multitaskerin”,
  • den unausgeglichenen Einsatz von persönlichen Ressourcen (wie Zeit oder Energie) eines Elternteils für gemeinsame Verantwortungsbereiche,
  • das Ausblenden von Geschlechtervielfalt und offenen Familienmodellen.

Status quo Rollenverteilung in der Familie in Deutschland

Mit der Möglichkeit, in Elternzeit⁹ zu gehen, finden Eltern in Deutschland zumindest auf dem Papier einen günstigen Rahmen für Progressive Parenting. Aber ein vergleichsweise progressives System ist noch kein Garant für eine progressive Gesellschaft¹⁰ .

Elternzeiten von Vätern dauern meist nur 2 Monate

Obwohl unser System beiden Elternteilen die Möglichkeit gibt, frei über den eigenen Elternzeitanspruch zu entscheiden, bleiben immer noch mehrheitlich die Mütter mit dem Nachwuchs zuhause¹¹. Die Allensbach-Studie „Elternzeit, Elterngeld und Partnerschaftlichkeit¹² “ (2021) und Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen:

  • 79 Prozent der Eltern in Ehen und Partnerschaften befürworten für die eigene Familie eine Berufstätigkeit beider Elternteile.
  • Durchschnittlich beträgt die Elternzeit der Mütter 18,5 Monate. Das Elterngeld beziehen sie im Durchschnitt für 14,1 Monate.
  • Elternzeiten von Vätern dauern meist nur zwei Monate. Als Durchschnittswert errechnen sich 3,1 Monate. Beim Elterngeld ergibt sich eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 3,7 Monaten.

Teilzeit kann traditionelle Rollenverteilung begünstigen

Teilzeit wird von der Politik als Vereinbarkeitsmodell von Beruf und Familie beworben. Sie wird allerdings zur Falle¹³, wenn sie dauerhaft bei niedriger Stundenzahl ausgeübt wird. Sie hat dann negative Effekte auf das Einkommen, die Altersvorsorge, oder auch die Karriereentwicklung. Daten des Statistischen Bundesamts zeigen¹⁴:

  • Teilzeit war in 2022 bei berufstätigen Müttern in Deutschland die Regel und bei Vätern noch Ausnahme.
  • Zwar stieg die Zahl berufstätiger Mütter innerhalb der letzten zehn Jahre um fünf Prozentpunkte auf 75 Prozent. Allerdings arbeiten davon rund 66 Prozent in Teilzeit. Bei Vätern liegt die Quote anteilig nur bei 7 Prozent.
  • Gerade Mütter mit jüngeren Kindern arbeiten in Deutschland Stand 2022 noch doppelt so häufig in Teilzeit wie im EU-Durchschnitt.

Motherhood Wage Penalty begünstigt Gender Pension Gap

Da Väter im Vergleich weniger in Elternzeit gehen als die Mütter, gibt es oft zwangs­läufige Unterschiede in Erwerbs­bio­graphien¹⁵. „Motherhood Wage Penalty¹⁶“ beschreibt die Tatsache finanzieller Einbußen, die Mütter ab Geburt des ersten Kindes erleben. Wer zusätzlich Kinder- oder Angehörigenbetreuung alleine organisieren muss, ist dabei oft dauerhaft in Teilzeit- oder Niedriglohnmodelle gezwungen. Laut dem Statistischen Bundesamt waren rund 2,15 Millionen Mütter und etwa 462.000 Väter im Jahr 2021 alleinerziehend in Deutschland¹⁷. Ein Fünftel der erwerbstätigen Alleinerziehenden (22 Prozent) sind dabei besonders armutsgefährdet¹⁸.

Familie als Mikrolabor für gesellschaftlichen Wandel

Familie kann dein persönliches Mikrolabor für gesellschaftlichen Wandel werden. Für eine wirkliche Revolution des Familien- und Elternbildes im Sinne des Progressive Parenting brauchen wir nämlich nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern alle Einzelnen. Hier kannst du aktiv neue Familienmodelle wie beispielsweise Co-Parenting oder Mehrgenerationenfamilien leben und alte Narrative zu Elternsein und Rollenverteilung in der Familie aufbrechen. Im Sinne des Progressive Parenting: Tob dich ruhig aus!

Stichwort Vorbilder¹⁹ : Wir lernen am Modell

Deine Elternteile oder dich umgebende Erziehungsberechtigte dienen dir von Geburt als Vorbilder und insofern auch als Verhaltensmodelle. Die Psychologie bezeichnet das Lernen von Vorbildern auch als Beobachtungslernen oder Lernen am Modell²⁰. Begegnen dir Rollenzuschreibungen von der Kindheit an regelmäßig, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du sie unbewusst als Tatsache abspeicherst. (Unconscious Bias). Später kann aber auch das beobachtete Verhalten anderer wichtiger peer groups eine entsprechende Wirkung auf uns haben. Beispielsweise bei der Beobachtung, wer von den Kolleg*innen wie lange in Elternzeit²¹ geht.

Woher kommt die traditionelle Rollenverteilung?

Familie war lange Zeit dem Besitzstand des Mannes gleichbedeutend. Als „Beschützer“ herrschte er über Haus, Hof, Grund, sowie alle Güter und Personen in seinem Haushalt. Die “traditionelle Familie” ist ein Konzept des Bürgertums im 19. Jahrhundert²². Mit fortschreitender Industrialisierung, gegenderten Marketingkampagnen²³ und medialen Narrativen verfestigten sich die traditionellen Familienrollen, die dir auch heute noch in Dauerschleife begegnen. Die Familienpolitik und Rechtsprechung in Deutschland war bis in die späten 50er Jahre noch am Alleinverdienermodell ausgerichtet²⁴. Auch das Ehegattensplitting²⁵ geht auf die Tradition der staatlichen Förderung der “Versorgerehe” und des Alleinverdienstmodells zurück.

Meilensteine: Partnerschaftsprinzip und Equal Pay

1958 tritt das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Bis dahin konnte ein Ehemann entscheiden, ob und wo seine Frau arbeiten durfte²⁶. Zudem war er jederzeit berechtigt, das Arbeitsverhältnis seiner Frau zu kündigen. Bis 1977 durfte eine Frau in Westdeutschland allerdings nur dann berufstätig sein, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war²⁷. Erst mit der Reform des Familienrechts 1977 waren Frauen nicht mehr gesetzlich zur unbezahlten Hausarbeit verpflichtet („Gehorsamsparagraph“). Die Reform strich unter anderem die sogenannte Hausfrauenehe und ersetzte sie durch das Partnerschaftsprinzip²⁸. Seitdem gibt es für die Ehe keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung mehr. 1980 stellt ein Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz (EG-Anpassungsgesetz) klar, dass Frauen das gleiche Gehalt für die gleiche Arbeit bekommen müssen²⁹. Zumindest laut Gesetz.

Quellen

¹ https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/werte-und-einstellungen/330293/geschlechtliche-aufgabenteilung-im-zeitverlauf/

² https://www.teamnushu.de/magazin/gleichberechtigung

³ https://www.grin.com/document/17836

⁴ https://www.teamnushu.de/magazin/gender-bias-erkennen

⁵ https://www.familie.de/familienleben/bilderstrecke/unglaubliche-zahlen-fakten-so-leben-deutsche-familien-2023/#page-2

⁶ https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/megatrend-glossar/gender-shift-glossar/#:~:text=Progressive%20Parenting&text=Progressive%20Parents%20wollen%20im%20Leben,und%20Aufgabenverteilung%20kein%20Gewicht%20mehr ; https://www.teamnushu.de/magazin/die-megatrends-in-der-uebersicht ; https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-klassische-rollenverteilung-als-auslaufmodell-10134.htmhttps://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-klassische-rollenverteilung-als-auslaufmodell-10134.htm

⁷ https://www.teamnushu.de/magazin/work-life-balance

⁸ https://www.teamnushu.de/magazin/lohngerechtigkeit-entgelttransparenzgesetz

⁹ https://www.teamnushu.de/magazin/elternzeit-und-elterngeld

¹⁰ https://www.allbright-stiftung.de/vaeter ; https://www.dw.com/en/opinion-progressive-policy-regressive-society-germanys-parent-trap/a-58992588

¹¹ https://doku.iab.de/kurzber/2023/kb2023-01.pdf

¹² https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/IfD/sonstige_pdfs/8251_Bericht_Elternzeit_final.pdf

¹³ https://www.teamnushu.de/magazin/teilzeitfalle

¹⁴ https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_N012_12.html

¹⁵ https://www.klischee-frei.de/de/klischeefrei_83589.php/publication/detail/2508

¹⁶ https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0049089X20300144

¹⁷ https://de.statista.com/statistik/daten/studie/318160/umfrage/alleinerziehende-in-deutschland-nach-geschlecht/

¹⁸ https://de.statista.com/infografik/25377/armutsgefaehrdete-erwerbstaetige-in-deutschland/

¹⁹ https://www.teamnushu.de/magazin/vorbild

²⁰ https://www.teamnushu.de/magazin/vorbild

²¹ https://www.nber.org/papers/w18198

²² https://de.wikipedia.org/wiki/Familie

²³ https://www.teamnushu.de/magazin/post-gender-marketing

²⁴ https://www.teamnushu.de/magazin/gleichberechtigung

²⁵ https://www.teamnushu.de/magazin/teilzeitfalle

²⁶ https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/271712/gleichberechtigung

²⁷ https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/271712/gleichberechtigung-wird-gesetz/

²⁸ https://hundertjahrefrauenwahlrecht.de/1977-reform-des-ehe-und-familienrechts/

²⁹ https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschland-chronik/131920/13-august-1980